Das Autismusspektrum ist breit gefächert und ich erlebe wie Menschen mit Autismus sich sehr unterscheiden können, demnach fällt es mir ehrlich gesagt schwer Autismus zu beschreiben.

Beruflich basiere ich mich auf die offiziellen Diagnosekriterien der Manuale DSM-V und ICD-10, welche sich grob in Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikatioun und Interaktion, als auch restriktive und repetitive Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten aufteilen lassen. Diagnosekriterien sind allerdings nur dazu da um bei Bedarf das eigene Sein besser zu verstehen und eventuell Hilfe anzufordern– jedoch hat natürlich nicht jede Person mit Autismus dieses Bedürfnis und fühlt sich durch Ihr Autismus eingeschränkt.

Privat erlebe ich autistische Personen also einfach so wie sie sind und achte nicht auf die Diagnose. Demnach würde ich sagen ist Autismus ein Zustand der die Art und Weise zu handeln, empfinden und denken beeinflussen kann – dabei kann dieser Zustand zu Einschränkungen im täglichen Leben führen, muss er aber nicht.

 

Wie hat sich Ihr Verständnis von Autismus-Spektrum-Störungen in den letzten Jahren verändert?

Jeden Tag wo ich mich mit autistischen Menschen und der Diagnose beschäftige lerne ich dazu.So hatte ich zum Beispiel Anfangs das Verständnis dass Menschen mit Autismus generell Körperkontakt eher vermeiden oder nicht aktiv suchen und habe dann schnell das Gegenteil erlebt mit einem Jungen der zum Beispiel fürs Leben gern kuschelt. Ähnlich habe ich non-verbale Menschen mit Autismus kennen gelernt, als auch autistische Menschen die sich sehr umfangreich verbal ausdrücken können. Autistische Menschen die an einer gewissen Routine festhalten und andere die auch gerne für spontane Ereignisse offen sind. Ich denke also dass ich nun ein besseres Verständnis davon habe wie weit sich das Spektrum ausweitet und ich bin nun noch offener als ich es eh schon war und lasse mich jedes Mal wieder neu von Menschen (mit Autismus) überraschen.

 

Was benötigen autistische Menschen Ihrer Erfahrung nach insbesondere für eine gute Lebensqualität?

Ich glaube dass ein Großteil von Lebensqualität davon kommt sein Leben genießen zu können. Natürlich sind dafür existenzielle Faktoren wie Zugang zu einer Unterkunft, Lebensmitteln und Gesundheitserhaltung wichtig. Ich glaube allerdings dass auch non-existenzielle Faktoren wie Selbstverwirklichung und soziale Integration sehr wichtig sind. Sprich dass eine Person die Möglichkeit hat aktiv zu sein, selbst mitzubestimmen und sich auch in der Gesellschaft einbringen zu können (falls dies erwünscht ist). Leider ist dies aber glaube ich oft erschwert für autistische Personen und viele werden mit Stigmata und Unzugänglichkeit konfrontiert.

 

Wie kamen Sie auf die Idee dieser Studie?

Das derzeitige Projekt (Studie: Schulergebnisse von Kindern mit Autismus) besteht eigentlich aus 2 Unter-Projekten, die jeweils von Dr. Andreia Costa und mir zusammen durchgeführt werden. Beide Projekte basieren dabei auf Berichten persönlicher Erfahrungen von Menschen mit Autismus und ihren Familien, eigenen Beobachtungen und Forschung, und internationaler wissenschaftlicher Literatur. So zeigen zum Beispiel manche Studien dass Kinder mit Autismus, trotz guten kognitiven Fähigkeiten, Schwierigkeiten in ihrer Schulkarriere erleben können die bis zu einem Ausschluss aus dem regulären Schulsystem führen können. Dieses Phänomen wurde dabei besonders bei Kindern mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten beobachtet. Dies wird unterstützt durch Eltern die uns berichten den Eindruck zu haben, dass Ihre Kinder Ihr wahres Potential in Ihrer schulischen Bildung nicht ausleben können.

Dann gibt es auch Literatur die sich damit befasst inwiefern Mehrsprachigkeit relevant ist für Kinder mit Autismus. Denn in vielen Ländern, und auch hier, wird Familien oft geraten eine einzige Sprache mit Ihrem Kind zu nutzen, welches jedoch hier in Luxemburg immer schwieriger umzusetzen ist und wissenschaftlich so nicht direkt unterstütztwird.

Deswegen versuchen wir gerade hier in Luxemburg zu analysieren wie sich Mehrsprachigkeit und ergänzende Faktoren in autistischen Kindern und ihren Familien ausprägt und wie wir Kinder in unserem (mehrsprachigen) Schulsystem (noch) besser unterstützen können.