SUIZIDALITÄT AUTISTISCHER ERWACHSENER

Suizidalität bei autistischen Erwachsenen: Die Rolle der depressiven Symptomatik, der Alexithymie und der Antidepressiva

Die neuere wissenschaftliche Forschung zeigt systematisch, dass Menschen mit Autismus ein höheres Risiko für Suizidalität haben, was Suizidgedanken, Suizidplanung und Suizidversuche einschließt. Allerdings sind die Risiko- und Schutzfaktoren nicht ausreichend untersucht und es fehlen noch Leitlinien für Präventions- und Interventionsmaßnahmen. So war das Ziel der vorliegenden Studie, den Zusammenhang zwischen autistischen Zügen, depressiver Symptomatik, Alexithymie und der Einnahme von Antidepressiva in Bezug auf Suizidalität zu erforschen.

Aufgrund des bekannten Zusammenhangs zwischen Depression und Suizid in der Allgemeinbevölkerung und angesichts der hohen Prävalenz von Depressionen bei Menschen mit Autismus, ist es wichtig, das Suizidrisiko bei Menschen mit Autismus in Betracht zu ziehen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) galt Selbstmord 2018 bei 1,4 % aller weltweiten Todesfälle als Todesursache, wobei sie darauf hinwies, dass auf jeden Erwachsenen, der durch Selbstmord stirbt, mehr als 20 weitere Personen kommen können, die versuchen, sich das Leben zu nehmen. Auch wenn es nicht viele Studien zum Thema Suizid bei Menschen mit Autismus gibt, legt die Kombination der Ergebnisse früherer Studien nahe, dass die Häufigkeit von Suiziden bei Menschen mit Autismus im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höher ist. Im Jahr 2016 wurde auch berichtet, dass 0,31% aller vorzeitigen Todesfälle bei Menschen mit ASD auf Selbstmord zurückzuführen sind, was deutlich höher ist als in der Allgemeinbevölkerung (0,06%).

RISIKOFAKTOREN FÜR SUIZID

Unter den verschiedenen psychiatrischen Problemen, die Risikofaktoren für Suizid darstellen, gehören Stimmungsstörungen wie Depressionen zu den häufigsten. In Anbetracht der allgemein hohen Depressionsrate, die bei Menschen mit Autismus berichtet wird, sollten Depressionen bei der Bewertung der Risikofaktoren für Selbstmord bei Menschen mit Autismus berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, seitdem bei Menschen mit Autismus gezeigt wurde, dass das bloße Vorhandensein des Faktors Depression ohne das Vorhandensein anderer Faktoren ausreicht, um ihr Selbstmordrisiko zu erhöhen.

Bei der Kombination von Depression und anderen zusätzlichen Risikofaktoren kann bei Menschen mit Autismus jedoch eine besondere Anfälligkeit für Suizidalität entstehen Bei Erwachsenen mit Autismus wurde festgestellt, dass diejenigen, die an Depressionen leiden, höhere kognitive Fähigkeiten und soziale Fertigkeiten haben. Das deutet darauf hin, dass ein stärkeres Bewusstsein für die eigenen Herausforderungen, wie beispielsweise Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion, zu einem höheren Risiko für Depressionen führen kann.

Alter und Geschlecht wurden ebenfalls als relevante Faktoren für Suizidalität identifiziert, mit besonderen Merkmalen bei Menschen mit Autismus. Im Jahr 2018 erwähnte die WHO, dass in der Allgemeinbevölkerung die Selbstmordraten bei Personen unter 15 Jahren am niedrigsten und bei Personen ab 70 Jahren am höchsten sind. Im Jahr 2013 zeigten weitere Studien, dass bei Menschen mit Autismus ein Alter von unter 10 Jahren ein Schutzfaktor gegen Suizidalität ist. Eine Studie, die über einen Zeitraum von 20 Jahren an der autistischen Bevölkerung aus Utah durchgeführt wurde, zeigte jedoch 2019, dass Jugendliche mit Autismus doppelt so häufig durch Selbstmord sterben wie Jugendliche ohne Autismus. In Bezug auf das Geschlecht unter Menschen mit Autismus haben verschiedene Studien aus den Jahren 2009 bis 2016 gezeigt, dass das männliche Geschlecht ein Risikofaktor für Selbstmord ist. Währenddessen weist bei Frauen mit Autismus eine zusätzliche geistige Behinderung ein höheres Risiko für einen vorzeitigen Tod auf. Durch die gleiche 20-jährige Studie aus Utah konnte auch festgestellt werden, dass in den letzten Jahren (2013-2017) Frauen mit Autismus dreimal häufiger durch Selbstmord starben als Frauen ohne Autismus.

ALEXITHYMIE, DEPRESSION UND SUIZIDALITÄT

Auch wenn sich die Forschung zu den Ursachen von Suizid bei Menschen mit Autismus an der Forschung in der Allgemeinbevölkerung orientieren kann, sind die Risikofaktoren bei Menschen mit Autismus möglicherweise anders. Beispielsweise war in einer der groß angelegten klinischen Studien, die von 2004 bis 2013 in England über Suizid bei Menschen mit Asperger-Syndrom durchgeführt wurden, die Rate der Suizidgedanken doppelt so hoch (66 %) als bei Menschen mit Depressionen (32 %). Daher ist es notwendig, andere Risikofaktoren in Betracht zu ziehen, die für Menschen mit Autismus typisch sind. Einer dieser Faktoren könnte Alexithymie sein. Alexithymie wurde zuerst als Mangel an Worten für Emotionen beschrieben. Sie kann als eine allgemeine Schwierigkeit definiert werden, eigene Emotionen und die von anderen zu erkennen, zu beschreiben und zu unterscheiden. Alexithymie stört sowohl das Erleben als auch den Ausdruck von Emotionen und wirkt sich sowohl auf intrapersoneller als auch auf interpersoneller Ebene aus. Während in der Allgemeinbevölkerung die Alexithymie-Rate auf 10% geschätzt wird, ist laut 2004 und 2005 veröffentlichten Studien bei Menschen mit Autismus die Alexithymie-Rate mit einer Prävalenz von 40% bis 65% höher.

Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Alexithymie eng mit Depressionen verbunden ist. In einer im Jahr 2000 veröffentlichten Studie, die den Zusammenhang zwischen Alexithymie und Depression in der Allgemeinbevölkerung untersuchte, wurde festgestellt, dass bei den Teilnehmern ohne diagnostizierte Depression 4,3 % Alexithymie hatten, während bei den Teilnehmern mit Depression 32 % Alexithymie hatten. In einer anderen Studie wurde festgestellt, dass Personen mit höheren Alexithymiewerten auch höhere Depressionswerte aufwiesen. Da Depressionen stark mit Selbstmord und Alexithymie stark mit Depressionen in Verbindung stehen, wurde der Zusammenhang zwischen Alexithymie und Suizidalität untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass Suizidgedanken bei alexithymen Personen häufiger vorkamen als bei nicht alexithymen Personen.

Viele Menschen mit Autismus haben Schwierigkeiten, mit ihren Emotionen umzugehen, Gesichtsausdrücke zu identifizieren, auf Emotionen zu reagieren sowie ihre Emotionen zu regulieren. Obwohl einige Studien gezeigt haben, dass die emotionalen Schwierigkeiten von Menschen mit Autismus nicht allein auf Alexithymie zurückgeführt werden können, weisen diverse andere Studien gerade darauf hin, dass die emotionalen Schwierigkeiten von Menschen mit Autismus nicht spezifisch für ihre Störung sind, sondern vielmehr auf Alexithymie zurückzuführen sind.

DIE STUDIE

Wie bereits dargestellt, spielen Depression und Alexithymie eine wichtige Rolle bei der Erklärung der Suizidalität in der Allgemeinbevölkerung. Doch obwohl Menschen mit Autismus höhere Raten an Depressionen und Alexithymie aufweisen, gab es bis zum Zeitpunkt dieser Studie und unseres Wissens keine Studien über die mögliche Rolle, die Alexithymie und Depressionen bei der Suizidalität von Menschen mit Autismus spielen können. Ziel dieser Studie war es daher, den Zusammenhang zwischen Suizidalität, depressiver Symptomatik, der Einnahme von Antidepressiva und Alexithymie bei Erwachsenen mit Autismus zu erforschen. In der vorliegenden Studie, welche von Forschern in Luxemburg erstellt und durchgeführt wurde und auf einer Gruppe von Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren basiert, wurden 150 Erwachsene mit Autismus mit 189 Erwachsenen ohne Autismus anhand eines Online-Fragebogens verglichen.

ERGEBNISSE

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten darauf hin, dass Erwachsene mit Autismus eine höhere Suizidalität (Gedanken und Versuche) aufweisen, mehr antidepressive Medikamente einnehmen, eine höhere depressive Symptomatik haben und eine höhere Alexithymie aufweisen als Erwachsene ohne Autismus. Es wurde auch nachgewiesen, dass vermehrte autistische Merkmale, eine erhöhte depressive Symptomatik und die Einnahme von Antidepressiva wesentlich zur Erklärung der höheren Suizidalitätsraten beitragen. Außerdem haben Personen mit einem hohen Ausmaß an autistischen Zügen ein höheres Suizidrisiko, wenn sie höhere Alexithymiewerte aufweisen, als wenn sie niedrigere Alexithymiewerte aufweisen. Diejenigen mit weniger autistischer Züge hatten jedoch unabhängig vom Alexithymiegrad ein ähnliches Selbstmordrisiko. Diese Ergebnisse reihen sich in eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen ein, die belegen, dass Menschen mit Autismus neben ihren autismusbedingten Schwierigkeiten eher an anderen Störungen leiden und dass die Suizidraten unter autistischen Menschen hoch sind.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorliegende Studie wichtige Erkenntnisse zur Suizidalität im Zusammenhang mit Menschen mit Autismus geliefert hat. Sie hat gezeigt, dass Menschen mit Autismus im Vergleich zu neurotypischen Menschen ein höheres Suizidrisiko haben und dass bei Menschen mit Autismus spezifische Risikofaktoren vorhanden sein können. Der wichtigste Beitrag und die Neuigkeit dieser Studie ist, dass Alexithymie in Kombination mit einem hohen Maß an autistischen Merkmalen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des Suizidrisikos spielt. Darüber hinaus hat die vorliegende Studie erneut bestätigt, dass die Einnahme von Antidepressiva und die depressive Symptomatik eine wichtige Rolle bei der Vorhersage der Suizidalität spielen. Daher sollten Präventions- und Interventionsprogramme zur Suizidproblematik bei Menschen mit Autismus den Schweregrad der Alexithymie ebenso berücksichtigen wie die Einnahme von Antidepressiva und die depressive Symptomatik. Es sind jedoch weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um diese Zusammenhänge sowie die spezifischen Risikofaktoren für Suizidalität bei Menschen mit Autismus genauer zu untersuchen.

KONTAKT

Für mehr Informationen über diese Studie, kontaktieren Sie uns unter autisme@uni.lu.